Zuhören

oder
Schattenarbeit Teil 1 -Juchee 😀 X-D

Als ich in der Nacht, bzw. in der Früh von Mo. auf Di.  meine alten Mails durchsah, stieß ich auf diesen Text, den ich damals meiner damaligen Ordens-“Lehrerin” schickte, in dem Versuch, damit eines meiner Bedürfnisse nach schlichtem, wertungs- und ratschlagsfreiem Zuhören verständlich zu machen. Bedauerlicher Weise ohne Erfolg.
Den Text find ich jedoch immer noch sehr ansprechend.-Und nachdenkenswert.

Wenn ich dich bitte, mir zuzuhören und du fängst an, mir Ratschläge zu erteilen, hast du nicht getan, worum ich dich bat.
Wenn ich dich bitte, mir zuzuhören und du fängst damit an, mir zu erklären, warum ich nicht in dieser Stimmung sein sollte, dann trittst du auf meinen Gefühlen herum.
Wenn ich dich bitte, mir zuzuhören und du meinst, du müsstest etwas unternehmen, um meine Probleme zu lösen, dann hast du an mir vorbeigeredet, so sonderbar das auch klingen mag.

Hör zu! Alles worum ich dich bat, war, dass du zu hören mögest, nicht sprechen oder handeln, einfach zuhören.
Guter Rat ist billig. Für wenig Geld bekommst du ihn in vielen frommen Blättern.
Die kann ich mir selber kaufen; ich bin nicht hilflos; vielleicht entmutigt, schwankend, aber nicht hilflos.
Wenn du für mich etwas tust, was ich selber für mich tun kann und soll, trägst du zu meiner Angst und Schwäche bei.

Aber, wenn du es einfach als Tatsache hinnimmst, dass ich mich nun einmal so fühle, wie ich mich fühle, gleichgültig, wie unvernünftig es scheinen mag, dann brauche ich dich nicht mehr zu überzeugen und kann versuchen zu verstehen, was hinter diesen unvernünftigen Gefühlen steckt. Und wenn dies deutlich wird, dann liegen die Antworten auf der Hand und ich brauche keinen Rat.
Unvernünftge Gefühle lassen einen Sinn erkennen, wenn wir ihren Hintergrund verstehen.

Vielleicht helfen Gebete deshalb ab und zu  manchen Menschen, weil Gott stumm ist und keine Ratschläge erteilt und versucht, Dinge in Ordnung zu bringen. Er hört nur zu und lässt dich selbst die Lösung finden.

So, bitte, höre zu und höre mich ganz einfach an. Und, wenn du sprechen möchtest, warte eine Minute, bis die Reihe an dir ist; und dann will ich dir zuhören.”

(Aus einer Ausgabe der AJC-Zeitung “Baum des Lebens”, Herausgabedatum leider nicht mehr bekannt.
Stammt aus dem Hospitz “Sir Michael Sobell House”; Oxford, England)

Manchmal geht es gar nicht darum, wenn jemand zu uns kommt, ihn mit “tollen Rat-Schlägen” , aufmuntern zu wollen, Hilfestellungen zu geben oder/und mit “gut gemeinten” Tips Lösungsansätze  zu bieten.
Manchmal ist alles was es braucht einfach eine Schulter zum anlehnen und zum ausheulen.-Und ein Ohr, das einfach nur zu hört.
Ohne Wertungen, ohne irgendwelche (gar abwertenden) Kommentare abzugeben, ohne zu meinen, den großen Helfer oder gar Lehrer raushängen zu lassen, der meinen müsste, sämtliche Antworten und Weisheiten zu kennen. Oder der meint sich das Recht herausnehmen zu dürfen, aufkommende Gefühle und Gedanken bewerten und richten zu dürfen.
Grade in Phasen der Trauer und des Abschiedes ist das unsagbar wichtig.

Als ich damals meiner “Lehrerin” diesen Text schickte, war ich in einer Phase, in der grade ziemlich frisch meine Traumen an die Oberflächen kamen. Stückchen für Stückchen.  Wie Blasen von Erdöl, die aus einer unterseeischen Pipline an die Oberfläche steigen und langsam das Wasser mit einer giftigen Ölschicht verpesten.

Das hat mich ziemlich mitgenommen…Und war für mich ein extrem heftiger Kampf.
Mich  an das Verarbeiten heranzutasten war anfangs… sehr, sehr schwierig.  Was vermutlich jedem normalen Menschen verständlich ist.
Das wohl Schlimmste war das Eingestehen und Ansehen dessen, was gewesen war. Mir wirklich ansehen und sagen zu können: “Ja, das was passiert war, IST wahr!”
Vieles war sehr verwirrdend. Und machte mir vor allem wirklich panische Angst.
Zeiten. Orte… Reihenfolgen…  Alles verschwamm in einem extrem undurchsichtigen Nebel. Entglitten mir immer wieder wie ein Aal, den ich mit bloßen Händen versuchte zu fangen…
Ich habe zum Teil heute noch Probleme mit zeitlichen Zuordnungen und Reihenfolgen der Ereignisse in meiner Kind- und Jugendzeit.
Meine Thera, die mich dann einige Zeit, da hatte ich den Orden bereits verlassen, später auf meinem Weg zur Gesundung begleitete, erklärte mir, dass das vollkommen normal bei Menschen mit einer PTBS sei. Auch die Gedächtnislücken, Erinnerungsschwierigkeiten, Amnesie u.ä.  sowohl bezüglich vergangener als auch aktuellen Geschehnissen etc. die mich damals begleiteten, seien weder verwunderlich noch unüblich. Im Gegenteil.
Besonders dann, wenn sie von Dissoziationen verbunden ist.

Von dem hatte ich damals ja, wie gesagt, noch überhaupt keine Ahnung.
Der Orden kreidete mir “unkongruentes Reden und Handeln” damals als “unverschämtes Lügen” und “unehrenhaftes Verhalten” an.
Das ich nicht ändern wollte, sondern für das ich mir nur immer wieder neue Ausreden einfallen lassen ließ.
Verhalten nicht ändern zu können, weil man im Laufe seines Lebens bestimmte Fähigkeiten und “Werkzeuge” nicht mitbekommen hatte, sich tatsächlich nicht erinner zu können, Erinnerungslücken zu haben oder (zeitliche) Reihenfolgen nicht hinzubekommen, das sich Veränderungen in den Erzählungen ergaben, weil entweder Details vergessen waren (und/oder später dazu kamen) oder ähnliches…
Das war nicht möglich, das war einfach eine Frage des Willens, eine Frage der Worttreue, der Ehre und der Wahrheitsliebe. Nix weiter.
Alles andere waren nur faule Ausreden und Aufmerksamkeitsheischerei.
Und damit nicht zu letzt Zeitverschwendung für die Lehrer und Orden.

Ich weiss nicht, wie im letzten Artikel erwähnt, ob es etwas an der Situation und/oder auch der Einstellung von T. & Co. geändert hätte, wenn damals schon wirklich klar gewesen wäre, das ich dabei war in eine PTBS zu schlittern.
Nicht zu letzt auch durch das sensationell kompetente, selbstreflektierte, flexible Verhalten von T.&Co. *Vorsicht etwas bissige Ironie*

Die Frage ist: Kann ich ihnen eigentlich überhaupt einen Vorwurf machen?
Und dabei geht es noch nicht mal um “Schuld” und/oder “Zuweisung” von Schuld an irgendjemanden. Darum kann es auch gar nicht gehen, denn die Ursachen für die PTBS liegen ja nicht bei ihnen, sondern um einiges weiter zurück in Begebenheiten, mit denen der Orden natürlichre Weise nix zu tun hat, nix zu tun haben kann.

Und trotzdem bin ich bei dieser Frage doch etwas zwiegepalten.
Ob eine generalisierende Antwort überhaupt möglich ist? Vielleicht ist auch ein differenzierteres Betrachten nötig?
Ich mein, wie bereits gesagt: Sie sind keine Psychotherapeuten. Daher kann ich schlecht von ihnen erwarten, dass sie Symptome einer PTBS erkennen und dementsprechend handeln (??).
Wenn ich allerdings weiss, dass meine Schülerin psychisch labil ist, sie in psychotherapeutischer Behandlung wegen mittelschweren bis schweren Depressionen ist, und wenn mir bekannt ist, dass bei ihr grade traumatische Erlebnisse aufbrechen….
Ich denke, dann ist es an der Zeit, mich schon mal genauer damit auseinander zu setzen was das für mich als Lehrerin und unser Zusammenarbeit auf dem spirituellen Pfad bedeutet. Erst Recht, weil mir als spirituelle Lehrerin klar sein sollte, was alles durch bewusst herbei geführte Schattenarbeit alles aufbrechen kann, was Weihen auslösen können etc. pp.
Das gehört (natürlich nur mein Anspruch, den ich an mich stelle/n würde) zu meiner PFLICHT. Ebenso wie die Reflexion darüber, was mir als Lehrerin möglich ist, und was nicht. Sprich auch mir selbst und seinen Grenzen gegenüber ehrlich zu sein und das dann, im nächsten Schritt, mit dem/der Schüler/in zu kommunizieren, damit wir GEMEINSAM eine Lösung finden.
Und wenn diese Lösung lautet: “Hör zu, ich weiss um deine Wünsche, um deine Visionen und das, was dich treibt, aber so lange du so instabil bist, ist nur dieses und jenes in diesem oder jenem Rahmen möglich (oder eben nicht).”

Wenn ein/e Schüler/in eh schon unter erheblichen inneren Spannungen leidet, nicht weiss ob er oder sie “Fisch oder Fleisch” ist…
Wenn WARNSIGNALE da sind, die anzeigen, dass der/die Schüler/in “entgleitet”, dann sollte ich mir vielleicht sehr genau überlegen, ob und welche Art von Lehrmethoden ich anwende, oder ob es an der Zeit ist, eine Pause einzuschieben, bis sich der Zustand wirklich stabilisert hat.
Allerdings ist dafür eine der Voraussetzungen (und da sind wir wieder beim Thema) das Zuhören.
Nur wenn ich bereit bin, (relativ) wertungsfrei dem anderen wirklich aufrichtig zuzuhören, ihn oder sie ernstnehme, ihm/ihr wohlwollend und wertschätzend eingestellt bin und bereit bin, MEIN Ego hinten an zu stellen, kann ich auch die (vielleicht nicht ganz so offensichtlichen) Warnsignale wahrnehmen. – Und dementsprechend handeln!
Und ebenso wichtig: Ich muss mir über meine eigenen Schatten, über meine eigenen “Leichen” im Keller, über das was in MIR der Heilung bedarf (m.M.n. fast zwingend) im Klaren sein.
Jede/r hat Leichen im Keller und Wunden, die (bisher) nicht geheilt sind.
Wenn ich aber meine eine Gemeinschaft zu Gründen und/oder andere Lehren zu wollen, dann sollte, nein muss ich wissen, worauf ich “anspringe”, was bei mir “Reaktionen” auslöst, mich also “triggert“.

Ja, vielleicht sind meine Messlatten ein wenig hoch. Doch ich setzte sie so hoch, weil ich eben selbst erlebt habe was für fatale, ggf.  (fast) tödliche Auswirkungen es haben kann, wenn völlig falsch reagiert und agiert wird.

Wenn man schon an seine Grenzen gerät, wenn man beim Zuhören merkt, dass es selbst Dinge in einem berührt, die man selbst (noch) nicht verarbeitet hat, an denen man selbst noch knappst, dann ist das auch die Pflicht eines (“reifen” spirituellen) Lehrers solche mit dem Schüler zu kommunizieren und mit ihm, wie gesagt, eine Lösung zu finden.
Alles andere ist dient ausschließlich der Ego-Schmeichelei des Lehrers, ist fahrlässig und kann zu einer ernsthaften Gefahr für den/die Schülerin werden.

Wenn ich darüber nachdenke, dann ist es wohl tatsächlich das Thema “Verantwortung”, dass hier auch eine sehr große Rolle spielt.
Die Frage nach dem, was die Verantwortung eines Lehrers und die eines Schülers ist, speziell, wenn da eine psychische Erkrankung vorliegt.
Nun, aber das wird dann ein eigener Beitrag werden.
Für heute sollte dieses lange Post wohl genügen 😉

LG, gute Nacht und BB
Siat

7 Gedanken zu „Zuhören“

  1. Wenn ich dich so lese,muss ich zwei Dinge sagen.
    Erstens bin ich froh,dass du den Absprung geschafft hast und dich selber so gut betrachten kannst und so stark bist,an dir zu arbeiten und deinen eigenen Weg gehst.
    Und zweitens bin ich froh,dass ich damals auf mein drängendes Bauchgefühl gehört habe und nicht in den Orden eingetreten bin.
    Ich drück dich mal,wenn du magst.
    <3

    1. Dank Dir :).
      Ja, ich bin da auch sehr froh drüber.
      Das ich heute gut darüber sprechen und das Geschehen reflektieren kann, bestätigt mich auch sehr gut darin, dass ich zusammen mit meiner Therapeutin wirklich gute Arbeit geleistet habe. Es hat zwar wirklich einige Jahre gedauert, aber es hat sich wirklich gelohnt. 🙂

      Mit welchen Orden hattest Du denn Kontakt? Oder kennst Du etwa auch den AvO? (Können auch gern mal auf FB miteinander chatten 🙂 )

      Liebe Grüße und fühl Dich ebenfalls gdrückt 🙂
      <3

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