Schlagwort-Archive: PTBS

Trauma, Traumabewältigung und die Verantwortung “spiritueller/religiöser Lehrer” (Teil 3)

Die Zeit heilt nicht alle Wunden,
sie lehrt nur,
mit dem Unbegreiflichen zu leben.

– Rainer Maria Rilke

 

Dieser Beitrag soll einen Überblick über die typischen Hauptsymptome und die möglichen psychischen Folgen geben.

Man kann sagen, dass die unmittelbaren Erstreaktionen, die nach einem traumatisierenden Ereignis eintreten, bei fast allen Menschen gleich ablaufen. Unterscheiden können sie sich jedoch im Ausmaß und der Intensität.
Sie sind eine völlig normale Reaktion (!) des Körpers und der Psyche auf ein überwältigendes und schreckliches Erlebenis.
Die längerfristige Bewältigung verläuft im Gegensatz dazu jedoch individuell völlig unterschiedlich.
Können das Trauma und die daraus resultierenden Stress- und Belastungsreaktionen nicht überwunden werden, können sich daraus weitreichende Folgestörungen entwickeln.
Ob ein Betroffener mit einer psychischen Störung reagiert und welche Krankheit sich ggf. daraus entwickelt, ist individuell ganz unterschiedlich und hängt einerseits von den persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten, aber auch vielen anderen Faktoren ab.
Es gibt allerdings auch Ereignissen, die fast immer zur Ausbildung einer psychischen Krankheit führen. Dazu gehören Folter, von der sich fast niemand von alleine erholen kann, und Vergewaltigung, von der es etwa nur ein Viertel der Betroffenen gelingt, sich davon alleine zu erholen.

 

Typische Hauptsymptome

Die nachfolgenden Symptome können alle gemeinsam oder auch einzeln auftreten, abhängig von den Faktoren, die ich in Teil 2 angesprochen habe.

  • Wiederkehrende Ängste
    Der/Die Betroffene erlebt immer wieder Ängste die im Zusammenhang mit dem erlebten Trauma stehen.
  • Übererregung (Hyperarousal)
    Es kann zu Konzentrationsschwierigkeiten und leichter Erschreckbarkeit kommen. Außerdem kann es zu vermehrter Wut/Wutausbrücken und zu einer erhöhten Alarmbereitschaft kommen
  • Emotionale Taubheit
    Die Fähigkeit sich zu freuen, zu lieben, traurig zu sein, Wut, Trauer oder andere Gefühle zu empfinden ist eingeschränkt
  • Vermeidenwollen (Avoidance)
    Man will Gedanken und Gefühlen vermeiden, die das Erlebte wieder aufleben lassen und ein Erinnern an das Erlebte hervorrufen könnten. Der Ort der Traumatisierung wird gemieden und/oder man verlässt nicht mehr das Haus.
    Um (zu) schmerzhafte Erinnerungen zu vermeiden kann es zu Dissoziationen und/oder (Teil)Amnesie kommen.
  • Gedankliche Vorwegnahme
    Um nicht wieder überrachst zu werden, wird das Schlimmste gedanklich Vorweg genommen. Von der Umgebung kann dies als eine Art Dauer-Pessimismus wahrgenommen und erlebt werden.
  • Unverhältnismäßig heftige Reaktionen
    Die betroffenen können auf äußere und innere Einflüsse ungewohnt und unverhältnismäßig heftig reagieren.
    Es kann z. B. zu Angsterkrankungen, Selbstverletztendes Verhalten, Abhängigkeitssyndromen, aber auch zu Panikattacken, Albträumen und dissoziativen Zuständen kommen.
    Die durch Trigger ausgelösten Reaktionen können bis ins hohe Alter erhalten bleiben.
  • Intrusion
    Unter Intrusion versteht man das Wiedererinnern und -erleben eines traumatischen Ereignisses. Sie werden von Schlüsselreizen (sog. “Triggern”) ausgelöst und umfasst Flash-backs, Albträume und Bilder, wobei die Art, wie Intrusionen auftauchen können, individuell verschieden sein können. Es kann auch zum Wiedererleben von Wahrnehmungen kommen. Die Betroffenen werden häufig von diesen überfallen und es ist ihnen häufig nicht möglich, diese Erinnerungen ohne weiteres auszublenden.
  • Kontrollverhalten
    Häufig leiden Traumatisierte unter einer permanenten inneren Unruhe und Schreckhaftigkeit. Gleichzeitig tritt äußerlich jedoch häufig auch ein stark kontrollierendes Verhalten zutage. Ein Trauma ist mit dem Erlebe eines extremen Kontrollverlustes verbunden, so dass die Betroffenen versuchen, dieses Erleben mit einem stark kontrollierenden Verhalten zu kompensieren.
  • Amnesie
    Die Erinnerung an das Geschehene wird so tief vergraben und verdrängt, dass eine Erinnerung, als ganzes oder in Teilen, nicht mehr möglich ist.
  • Interessenverlust
    Infolge eines Traumas kann es zu einer Reduzierung oder gar völligen Einstellung der Aktivitäten kommen. Man zieht sich von allen Aktivitäten zurück, die einem “vorher” etwas bedeutet und Freude bereitet haben.
    Viele Menschen berichten von einer “Gefühlskälte” oder “Gefühlstaubheit”, die sie befällt.

 

Erstreaktionen/Akute Belastungsreaktionen

Die oben genannten Symptome sind als Erstreaktion, wie gesagt, völlig normal, auch wenn sie heftig ausfallen können, und treten bei den meisten Menschen auf, die ein traumatisiserendes Erlebnis hatten.
Beides ist sowohl für Betroffene als auch ihre Angehörigen wichtig zu wissen, da die Belastungsreaktionen ggf. völlig wesensfremd sein können und die Menschen dann darüber erschrecken.
Sie “erkennen sich selbst nicht wieder” (oder werden von ihrer Familie nicht mehr wiedererkannt), oder können auch die Angst verspüren, “verrückt” oder “krank” zu werden.

Diese Symptome klingen in der Regel bei den meisten Menschen nach einer gewissen Erholungszeit, langsam wieder ab, wenn die Betroffenen entsprechend unterstützende Bedingungen vorfinden. Dem traumatischen Erlebnis kann sein Platz im Leben(slauf) zugewiesen  und so in ihn integriert werden, was häufig zu einer Veränderung des Verhaltens der Menschen führt.

Bleiben diese Belastungs-und Notfallreaktionen erhalten, bzw. werden sie nicht schwächer und dauern längern als 6 Wochen an, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass der Erholungs- und Verarbeitungsprozess blockiert ist.
Gelingt es einem Menschen die Verarbeitung und Integration nicht, und kann die psychische Gesundheit durch die eigenen Selbstheilungskräfte nicht wieder hergestellt werden, selbst nicht nach einem längeren Zeitraum, können sich möglicherweise sehr schwerwiegende traumabedingte Folgestörungen entwickeln, die das gesamte Leben beeinflussen und beeinträchtigen.
Diese Folgestörungen können auch erst Monate oder gar Jahre nach dem erlittenen Trauma auftreten, so dass ggf. ein Zusammenhang nicht gleich ersichtlich und feststellbar ist.
Sie können unter Umständen auch mit einer veränderten Aktivität des Gehirns und/oder neuroanatomischen Veränderungen einhergehen.

 

(Komplexe) Trauma-Folgestörungen

In manchen Fällen können sich die typischen Symptome chronisch manifstieren und so zu tiefgreifenderen, z.T. sehr komplexen Folgestörungen führen.
Folgestörungen zeichnen sich (kurz gesagt) im Prinzip dadurch aus, dass das nicht verarbeitete und überwundene Trauma zu einer “Vergiftung” und dauerhaften Prägung der gesamten Persönlichkeit, der Gedanken und Gefühle, des Alltags-und Beziehungsleben und der Gesundheit führt.

Das Risiko an einer komplexen Folgestörung zu erkranken ist vor allem dann besonders hoch, wenn (wiederholt) Gewalterfahrungen gemacht werden, vor allen Dingen in der Kindheit.
Das Erleben führt zu einschneidenden Persönlichkeitsveränderungen, die sich z.B. in Selbstablehnung, negativen Überzeugungen in Bezug auf sich selbst oder auch in Selbsthass zeigen können, oder sich auch in einem tiefen Misstrauen gegenüber anderen Menschen äußert.
Sehr häufig sind auch tief greifende Überzeugungen bezüglich der eigenen Macht-und Hoffnungslosigkeit und die Ablehnung des eigenen Körpers vorhanden.

Die Entstehungsmechanismen von Traumafolgestörungen sind heute noch weitgehend unbekannt.
Das liegt daran, dass traumatisierende Ereignisse unvorhersehbar sind und es dadurch nicht bzw. nur schwer gelingt, die neurobiologischen, kognitiven und emotionalen Zustände der Betroffenen vor und nach einem Trauma zu untersuchen. Ein weiterer beachtenswerter Punkt ist, dass einem Trauma nachfolgende Störungen ein Ergebnis von sowohl psychologischen, physiologischen als auch sozialen Prozessen sind.
Trotz der Schwierigkeiten, die es bei der Forschung nach der Entstehung von Traumafolgestörungen gibt, gibt es doch eine Reihe von psychischen Auffälligkeiten und neuronalen Veränderungen, die in mehreren Studien bei Betroffenen festgestellt werden konnten, auf deren Grundlage Modelle entwickelt wurden, die versuchen die Ausbildung von Traumafolgestörungen zu erklären. Das Gedächtnismodell und das Hormonelle Stress-System.

  • Gedächtnismodell
    Infolge des Traumas kommt es durch eine massive Ausschüttung von Neurohormonen zu einer Fehlfunktion in der Schaltstelle des Limbischen Systems, dem Hippocampus, bzw. der Hippocampusformation, dessen Funktion u.a. wesentlich mit dem Gedächtnis, der Erinnerung und den Emotionen zusammenhängt.
    Die Fehlfunktion führt dazu, dass es zu einer massiven Störung der zeitlichen und räumlichen Erfassung und Einordnung von Sinnenseindrücken kommt, d.h. die eintreffenden Sinneseindrücke werden nicht mehr in Kategorien erfasst, sondernals zusammenhanglose Informationen wahrgenommen. Das führt dazu, dass die traumatischen Sinneseindrücke fragmentiert in dem Teil des Gedächtnisses abgespeichert werden, der sich auf das Erleben und Verhalten eines Menschen auswirkt, ohne dass sie dabei jedoch ins Bewusstsein treten.
    Solcherlei fragmentierte Gedächtnisinhalte werden abgerufen, wenn ein Mensch ein Flash-back erlebt.
    Kurz gesagt heisst das, dass die Erinnerung(en) an das Trauma selbst, aber auch alle anderen damit verbundenen Sinneseindrücke im bewussten (=expliziten) Gedächtnis (wenn überhaupt) nur bruchstückhaft gespeichert werden, aber sie dafür im Unterbewusstsein (=implizites Gedächtnis) umso lebendiger sind, und von dort aus ihre Wirkung auf das Leben und die Persönlichkeit der Betroffenen ausüben.
  • Hormonelles Stress-System
    In Studien wurde herausgefunden, dass traumatisierten Patienten im Vergleich zu Gesunden eine erhöhte Aktivität des noradrenergenen (d.h. auf das Stresshormon Noradrenalin reagierenden) Stress-Systems zeigen.
    Das führt dazu, dass die Betroffenen u.a. unter Konzentrationsschwäche, Schlaflosigkeit, Schreckhaftigkeit oder Übererregung leiden.
    Außerdem deuten einige Studien darauf hin, dass auch die Ausschüttung anderer Hormone verändert sein können.

Innerhalb der Traumafolgestörungen wird zwischen primären und sekundären Störungen unterschieden.
Zu den häufigen primären Störungen nach einer Traumatisierung gehören die:

  • Postttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
    Auftretende Belastungs-und Stresssymptome halten über einen längeren Zeitraum an. Es zeichnet sich ein chronischer Verlauf ab. Halten die Symptome einen weiteren Zeitraum von 8 Monaten an, kann davon ausgegangen werden, dass sich die PTBS nicht mehr spontan zurückbildet.
  • Komplexe Postraumatische Belastungsstörung (K-PTBS)
    Ein Begriff, der in Deutschland und Europa nur langsam Fuß fasst, und mehr im angloamerikanischen Raum verbreitet ist. Er bezeichnet kurz gesagt eine Mehrfachtraumatisierung, für deren komplexe Symptomatik die Diagnose PTBS nicht (mehr) ausreichenden ist, und auch einer andere therepeutische Herangehensweise bedarf.
  • Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
    Ist mit der K-PTBS fast identisch und im deutschen Sprachraum gebräuchlich.
  • Anpassungstörung
    Bezeichnen psychische Belastungsreaktionen, die durch Ereignisse ausgelöst wurden, die nicht der medizinischen Definition von Trauma entsprechen.

Auf die PTBS, K-PTBS und die andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung möchte ich im nächste Teil genauer eingehen.
Die Entwicklung fast aller anderen psychischen Erkrankungen wird durch das Erleben einer Traumatisierung erhöht. Man sprich bei diesen auch von sekundären psychischen Erkrankungen.
Hierzu gehören z.B.:

 

Bei psychischen Erkrankungen wie Ess- oder Zwangsstörungen und spezifischen Phobien wird eine Traumatisierung als indirekter Risikofaktor zu einer Ausbildung derselbigen angesehen, weswegen sie oft nicht als sekundäre Störungen betrachtet werden.
Eine weitere Erkrankung, bei der traumatische Ereignisse als maßgeblicher Faktor angesehen werden, ist die Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline).

 

Auswirkungen auf Leben und Persönlichkeit

Das Erleben eines Traumas prägt sowohl das Leben als auch die Persönlichkeit eines Menschen ggf. in einem sehr starkem Maß.
Es findet ein stetes Pendeln statt zwischen dem Vermeiden von Erinnerungen an die seelische Verletzung und den daraus resultierenden Folgen auf der einen Seite,  und  Flashbacks auf der anderen Seite. Diese Flashbacks können oft auftreten, ohne dass dem oder der Betroffenen ein (offensichtlicher) Zusammenhang mit dem erfolgten Trauma ersichtlich ist.
Obwohl ein erlebtes Trauma bei der betroffenen Person einen prägenden Eindruck hinterlassen hat, kann es auch passieren, dass dieses Erlebnis zeitweilig oder dauerhaft verdrängt oder gar gänzlich vergessen wird, so dass es nicht möglich ist die eigene seelische Verletzung und Kränkung wahrzunehmen.

 

Auf die Folgen einer Traumatisierung von Kindern bzw. in der Kindheit möchte ich an dieser Stelle besonders hinweisen, denn hier entstehende Störungen haben einen deutlich schwerer wiegenderen und tiefer gehenden Einfluss, sowohl auf die Persönlichkeit(sentwicklung) als auch das gesamte weitere Leben, als im Erwachsenen-Alter.
Das ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass sich im Erwachsenen-Alter die Persönlichkeit eines Menschen bereits gefestigt hat, und andererseit, dass ein Erwachsener über andere Bewältigungsmechanismen verfügt, als ein Kind, dass diese erst entwickeln lernt.
Kinder, so die Erfahrungen in der Traumapsychologie, sprechen noch weniger über das Erlebte, als Erwachsene, was auch daraus resultiert, dass Kinder noch viel größere Schwierigkeiten haben/haben können, dass, was geschieht mit ihrem Verstand zu erfassen und ihre  Gefühle nicht so gut (v.a. in Worten) ausdrücken können.
Die sich daraus ergebenden seelischen und gesundheitlichen Folgen werden auch heute noch vielfach unterschätzt, obwohl das Risiko, eine PTBS oder einer anderen, schwer wiegenden Folgestörung zu entwickeln, bei ihnen besonders hoch ist.
Vor allen Dingen dann, wenn das Trauma mit zwischenmenschlicher Gewalt (physischer oder emotionaler) verbunden ist, und über einen längeren Zeitraum stattfindet.

Natürlich können auch Erwachsene prinzipiell alle Folgen davon tragen wie Kinder und Jugendliche, dennoch bedarf es dazu eine  stärkeren Traumatisierung, als bei ihnen.
Gewalttätige Traumata in Kindheit und Jugend, unabhängig davon ob diese einmalig waren oder einen längeren Zeitraum andauerten, haben eine tiefgreifende Störung der Persönlichkeit zur Folge, die im allgemeinen weit über die einer allgemeinen posttraumatischen Belastungsstörung hinausgehen.
Wächst ein Kind dauerhaft in einem, von (physischer und/oder psychischer) Gewalt geprägten sozialen oder familären Umfeld auf, wirkt sich die Traumatisierung außerdem in Form einer erzieherischen Prägung aus.
D.h. dass sich spezifische Handlungs-, Kommunikations-, Denk-, Fühl- und Wertestrukturen entwickeln, die die Persönlichkeit, das Agieren in und mit der Umwelt und mit anderen Menschen, und auch ihre Wahrnehmung stark und weitreichend prägen.
Kommt es bei Kinder zu einer Traumatisierung durch Bezugspersonen, , so entwickeln sie oft unsichere und desorganisierte Bindungen. Wobei diese Folgen auch bei Kindern und Jugendlichen beobachtet werden, bei denen die Bindungsperson ein Trauma erlitten und nicht verarbeitet hat.
Außerdem kommt es bei Kindern von traumatisierten Müttern häufig zu einer generationenübergreifenden Weitergabe von Traumaerfahrungen.

 

 

Zuhören

oder
Schattenarbeit Teil 1 -Juchee 😀 X-D

Als ich in der Nacht, bzw. in der Früh von Mo. auf Di.  meine alten Mails durchsah, stieß ich auf diesen Text, den ich damals meiner damaligen Ordens-“Lehrerin” schickte, in dem Versuch, damit eines meiner Bedürfnisse nach schlichtem, wertungs- und ratschlagsfreiem Zuhören verständlich zu machen. Bedauerlicher Weise ohne Erfolg.
Den Text find ich jedoch immer noch sehr ansprechend.-Und nachdenkenswert.

Wenn ich dich bitte, mir zuzuhören und du fängst an, mir Ratschläge zu erteilen, hast du nicht getan, worum ich dich bat.
Wenn ich dich bitte, mir zuzuhören und du fängst damit an, mir zu erklären, warum ich nicht in dieser Stimmung sein sollte, dann trittst du auf meinen Gefühlen herum.
Wenn ich dich bitte, mir zuzuhören und du meinst, du müsstest etwas unternehmen, um meine Probleme zu lösen, dann hast du an mir vorbeigeredet, so sonderbar das auch klingen mag.

Hör zu! Alles worum ich dich bat, war, dass du zu hören mögest, nicht sprechen oder handeln, einfach zuhören.
Guter Rat ist billig. Für wenig Geld bekommst du ihn in vielen frommen Blättern.
Die kann ich mir selber kaufen; ich bin nicht hilflos; vielleicht entmutigt, schwankend, aber nicht hilflos.
Wenn du für mich etwas tust, was ich selber für mich tun kann und soll, trägst du zu meiner Angst und Schwäche bei.

Aber, wenn du es einfach als Tatsache hinnimmst, dass ich mich nun einmal so fühle, wie ich mich fühle, gleichgültig, wie unvernünftig es scheinen mag, dann brauche ich dich nicht mehr zu überzeugen und kann versuchen zu verstehen, was hinter diesen unvernünftigen Gefühlen steckt. Und wenn dies deutlich wird, dann liegen die Antworten auf der Hand und ich brauche keinen Rat.
Unvernünftge Gefühle lassen einen Sinn erkennen, wenn wir ihren Hintergrund verstehen.

Vielleicht helfen Gebete deshalb ab und zu  manchen Menschen, weil Gott stumm ist und keine Ratschläge erteilt und versucht, Dinge in Ordnung zu bringen. Er hört nur zu und lässt dich selbst die Lösung finden.

So, bitte, höre zu und höre mich ganz einfach an. Und, wenn du sprechen möchtest, warte eine Minute, bis die Reihe an dir ist; und dann will ich dir zuhören.”

(Aus einer Ausgabe der AJC-Zeitung “Baum des Lebens”, Herausgabedatum leider nicht mehr bekannt.
Stammt aus dem Hospitz “Sir Michael Sobell House”; Oxford, England)

Manchmal geht es gar nicht darum, wenn jemand zu uns kommt, ihn mit “tollen Rat-Schlägen” , aufmuntern zu wollen, Hilfestellungen zu geben oder/und mit “gut gemeinten” Tips Lösungsansätze  zu bieten.
Manchmal ist alles was es braucht einfach eine Schulter zum anlehnen und zum ausheulen.-Und ein Ohr, das einfach nur zu hört.
Ohne Wertungen, ohne irgendwelche (gar abwertenden) Kommentare abzugeben, ohne zu meinen, den großen Helfer oder gar Lehrer raushängen zu lassen, der meinen müsste, sämtliche Antworten und Weisheiten zu kennen. Oder der meint sich das Recht herausnehmen zu dürfen, aufkommende Gefühle und Gedanken bewerten und richten zu dürfen.
Grade in Phasen der Trauer und des Abschiedes ist das unsagbar wichtig.

Als ich damals meiner “Lehrerin” diesen Text schickte, war ich in einer Phase, in der grade ziemlich frisch meine Traumen an die Oberflächen kamen. Stückchen für Stückchen.  Wie Blasen von Erdöl, die aus einer unterseeischen Pipline an die Oberfläche steigen und langsam das Wasser mit einer giftigen Ölschicht verpesten.

Das hat mich ziemlich mitgenommen…Und war für mich ein extrem heftiger Kampf.
Mich  an das Verarbeiten heranzutasten war anfangs… sehr, sehr schwierig.  Was vermutlich jedem normalen Menschen verständlich ist.
Das wohl Schlimmste war das Eingestehen und Ansehen dessen, was gewesen war. Mir wirklich ansehen und sagen zu können: “Ja, das was passiert war, IST wahr!”
Vieles war sehr verwirrdend. Und machte mir vor allem wirklich panische Angst.
Zeiten. Orte… Reihenfolgen…  Alles verschwamm in einem extrem undurchsichtigen Nebel. Entglitten mir immer wieder wie ein Aal, den ich mit bloßen Händen versuchte zu fangen…
Ich habe zum Teil heute noch Probleme mit zeitlichen Zuordnungen und Reihenfolgen der Ereignisse in meiner Kind- und Jugendzeit.
Meine Thera, die mich dann einige Zeit, da hatte ich den Orden bereits verlassen, später auf meinem Weg zur Gesundung begleitete, erklärte mir, dass das vollkommen normal bei Menschen mit einer PTBS sei. Auch die Gedächtnislücken, Erinnerungsschwierigkeiten, Amnesie u.ä.  sowohl bezüglich vergangener als auch aktuellen Geschehnissen etc. die mich damals begleiteten, seien weder verwunderlich noch unüblich. Im Gegenteil.
Besonders dann, wenn sie von Dissoziationen verbunden ist.

Von dem hatte ich damals ja, wie gesagt, noch überhaupt keine Ahnung.
Der Orden kreidete mir “unkongruentes Reden und Handeln” damals als “unverschämtes Lügen” und “unehrenhaftes Verhalten” an.
Das ich nicht ändern wollte, sondern für das ich mir nur immer wieder neue Ausreden einfallen lassen ließ.
Verhalten nicht ändern zu können, weil man im Laufe seines Lebens bestimmte Fähigkeiten und “Werkzeuge” nicht mitbekommen hatte, sich tatsächlich nicht erinner zu können, Erinnerungslücken zu haben oder (zeitliche) Reihenfolgen nicht hinzubekommen, das sich Veränderungen in den Erzählungen ergaben, weil entweder Details vergessen waren (und/oder später dazu kamen) oder ähnliches…
Das war nicht möglich, das war einfach eine Frage des Willens, eine Frage der Worttreue, der Ehre und der Wahrheitsliebe. Nix weiter.
Alles andere waren nur faule Ausreden und Aufmerksamkeitsheischerei.
Und damit nicht zu letzt Zeitverschwendung für die Lehrer und Orden.

Ich weiss nicht, wie im letzten Artikel erwähnt, ob es etwas an der Situation und/oder auch der Einstellung von T. & Co. geändert hätte, wenn damals schon wirklich klar gewesen wäre, das ich dabei war in eine PTBS zu schlittern.
Nicht zu letzt auch durch das sensationell kompetente, selbstreflektierte, flexible Verhalten von T.&Co. *Vorsicht etwas bissige Ironie*

Die Frage ist: Kann ich ihnen eigentlich überhaupt einen Vorwurf machen?
Und dabei geht es noch nicht mal um “Schuld” und/oder “Zuweisung” von Schuld an irgendjemanden. Darum kann es auch gar nicht gehen, denn die Ursachen für die PTBS liegen ja nicht bei ihnen, sondern um einiges weiter zurück in Begebenheiten, mit denen der Orden natürlichre Weise nix zu tun hat, nix zu tun haben kann.

Und trotzdem bin ich bei dieser Frage doch etwas zwiegepalten.
Ob eine generalisierende Antwort überhaupt möglich ist? Vielleicht ist auch ein differenzierteres Betrachten nötig?
Ich mein, wie bereits gesagt: Sie sind keine Psychotherapeuten. Daher kann ich schlecht von ihnen erwarten, dass sie Symptome einer PTBS erkennen und dementsprechend handeln (??).
Wenn ich allerdings weiss, dass meine Schülerin psychisch labil ist, sie in psychotherapeutischer Behandlung wegen mittelschweren bis schweren Depressionen ist, und wenn mir bekannt ist, dass bei ihr grade traumatische Erlebnisse aufbrechen….
Ich denke, dann ist es an der Zeit, mich schon mal genauer damit auseinander zu setzen was das für mich als Lehrerin und unser Zusammenarbeit auf dem spirituellen Pfad bedeutet. Erst Recht, weil mir als spirituelle Lehrerin klar sein sollte, was alles durch bewusst herbei geführte Schattenarbeit alles aufbrechen kann, was Weihen auslösen können etc. pp.
Das gehört (natürlich nur mein Anspruch, den ich an mich stelle/n würde) zu meiner PFLICHT. Ebenso wie die Reflexion darüber, was mir als Lehrerin möglich ist, und was nicht. Sprich auch mir selbst und seinen Grenzen gegenüber ehrlich zu sein und das dann, im nächsten Schritt, mit dem/der Schüler/in zu kommunizieren, damit wir GEMEINSAM eine Lösung finden.
Und wenn diese Lösung lautet: “Hör zu, ich weiss um deine Wünsche, um deine Visionen und das, was dich treibt, aber so lange du so instabil bist, ist nur dieses und jenes in diesem oder jenem Rahmen möglich (oder eben nicht).”

Wenn ein/e Schüler/in eh schon unter erheblichen inneren Spannungen leidet, nicht weiss ob er oder sie “Fisch oder Fleisch” ist…
Wenn WARNSIGNALE da sind, die anzeigen, dass der/die Schüler/in “entgleitet”, dann sollte ich mir vielleicht sehr genau überlegen, ob und welche Art von Lehrmethoden ich anwende, oder ob es an der Zeit ist, eine Pause einzuschieben, bis sich der Zustand wirklich stabilisert hat.
Allerdings ist dafür eine der Voraussetzungen (und da sind wir wieder beim Thema) das Zuhören.
Nur wenn ich bereit bin, (relativ) wertungsfrei dem anderen wirklich aufrichtig zuzuhören, ihn oder sie ernstnehme, ihm/ihr wohlwollend und wertschätzend eingestellt bin und bereit bin, MEIN Ego hinten an zu stellen, kann ich auch die (vielleicht nicht ganz so offensichtlichen) Warnsignale wahrnehmen. – Und dementsprechend handeln!
Und ebenso wichtig: Ich muss mir über meine eigenen Schatten, über meine eigenen “Leichen” im Keller, über das was in MIR der Heilung bedarf (m.M.n. fast zwingend) im Klaren sein.
Jede/r hat Leichen im Keller und Wunden, die (bisher) nicht geheilt sind.
Wenn ich aber meine eine Gemeinschaft zu Gründen und/oder andere Lehren zu wollen, dann sollte, nein muss ich wissen, worauf ich “anspringe”, was bei mir “Reaktionen” auslöst, mich also “triggert“.

Ja, vielleicht sind meine Messlatten ein wenig hoch. Doch ich setzte sie so hoch, weil ich eben selbst erlebt habe was für fatale, ggf.  (fast) tödliche Auswirkungen es haben kann, wenn völlig falsch reagiert und agiert wird.

Wenn man schon an seine Grenzen gerät, wenn man beim Zuhören merkt, dass es selbst Dinge in einem berührt, die man selbst (noch) nicht verarbeitet hat, an denen man selbst noch knappst, dann ist das auch die Pflicht eines (“reifen” spirituellen) Lehrers solche mit dem Schüler zu kommunizieren und mit ihm, wie gesagt, eine Lösung zu finden.
Alles andere ist dient ausschließlich der Ego-Schmeichelei des Lehrers, ist fahrlässig und kann zu einer ernsthaften Gefahr für den/die Schülerin werden.

Wenn ich darüber nachdenke, dann ist es wohl tatsächlich das Thema “Verantwortung”, dass hier auch eine sehr große Rolle spielt.
Die Frage nach dem, was die Verantwortung eines Lehrers und die eines Schülers ist, speziell, wenn da eine psychische Erkrankung vorliegt.
Nun, aber das wird dann ein eigener Beitrag werden.
Für heute sollte dieses lange Post wohl genügen 😉

LG, gute Nacht und BB
Siat